Integration persönlich

Zufällig sass ich am Mittwoch im Café, meine geliebte Kaffeepause – der Tagesanzeiger vor mir. Im Kopf Bilder und Sätze der letzten Tage und Monate:

 

·         am Anfang der Schulzeit: Rishi schubst und schlägt immer wieder. Ich frage mich, ob er sich wohl fühlt? Wo habe ich in der Erziehung versagt? Wie kann mithelfen, dass sich das Verhalten verändert?

 

·         die Bemerkung meines Mannes vor ein paar Tagen: „was ich mit Rishi noch vor einem Jahr machen konnte –Mathe, Schreiben- kann er nicht mehr

 

·         ich am Besuchstag: eine ruhige, disziplinierte, aufmerksame Klasse. Ich weiss, dass die Kinder die besonderen Kinder als anders und besonders akzeptieren. Auch ist mir bewusst, wieviel Arbeit und Mühe die Lehrperson in die Integration besonderer Kinder steckt. Rishi geht sehr gerne zur Schule. Der Ablauf des Morgens: 10 Min. Kreis. Rishi gelingt es nicht, viel zu seinem gemalten Bild zu sagen. Zurück an den Tisch. 45 Min. Sprache. 15 Min. Englisch auf Blättern. Rishi macht hier nicht, sondern schreibt weiter an seinem Blatt. Dann in den Kreis, er versteht es nicht. - Pause – Turnen. Die Lehrerinnen wechseln sich ab in der Begleitung der besonderen und nicht besonderen Kinder. Rishi macht begeistert und mit viel Spass mit.
Nachdenklich gehe ich nach Hause. Ein ruhiges, diszipliniertes Nebeneinander in den sogenannten Leistungsfächern. Schmerzlich vermisse ich warme Begegnungen und gemeinsame Lernsituationen, gerade auch in den Leistungsfächern. Situationen, in denen es allen beteiligten Kindern möglich ist, zu zeigen, was sie können und beide Seiten profitieren: indem der eine vielleicht erklärt, der andere dabei lernt und die „Leistung“ aller gewürdigt wird -

 

 „…folgert Projektleiterin Simona Altmeyer, es gelinge «weitgehend, Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen gut zu integrieren, aber nur teilweise, diese auch gut zu qualifizieren».“

 

«Allein mit etwas Weiterbildung der Lehrer ist es nicht ­getan. Damit die Integration gelingt, braucht es ein klares gesellschaftliches Bekenntnis sowie ausreichend personelle und fachliche Ressourcen.»

 

·         Ein Gespräch mit der Lehrerin kommt mir in den Sinn, die sagt: „im Vergleich mit dem letzten Jahr hat sich der Lernstoff verdoppelt, den wir vermitteln müssen. Es bleibt uns fast keine andere Wahl, als stark strukturiert und mit hoher Geschwindigkeit durch den Schulalltag zu führen. Es tut uns manchmal selber leid, dass wir die besonderen Kinder nicht stärker einbinden können -
- und ich erkenne, wie sehr wir alle durch einen schulischen Entwurf und ein schulisches System bestimmt und sind, wie schwer es ist, individuell auf das einzelne Kind einzugehen versus die Anforderungen einer Gruppe und den Ansprüchen des Lehrplanes.

 

 

 

Das gesellschaftliche Bekenntnis und die Integration in der Gesellschaft: in der Schule erleben die Kinder eine klare Trennung in Bezug auf die Leistungsfächer. Die Pausen dienen dem Spiel, dem Austausch untereinander, dem Verarbeiten von Themen, die sie beschäftigen. Es ist klar, dass dieser Freiraum sein muss innerhalb eines straff organisierten Ablaufs. Wenn Kinder jetzt im Schulzimmer erleben, dass bei Dingen, die als wichtig dargestellt werden, getrennt wird – wird es ihnen dann möglich sein, den Transfer in ihren Alltag zu machen und besondere Kinder miteinzubeziehen, wenn etwas ihnen wichtig ist? Und wie passiert Transfer in die Familie und von dort, Transfer in die Gesellschaft? Auch ich gehöre zu den Müttern, die in fast 6 Jahren Regelschule nur zweimal eine Geburtstagseinladung für Rishi erhalten habe. Eingeladen zum Spielen am Nachmittag wird er kaum, ausser ich selbst initiiere es. In den ersten Jahren der Integration in der Regelschule hoffte ich –wie so viele andere, denke ich-, es würden Begegnungen entstehen und dadurch Berührungsängste abgebaut – es ist nicht dazu gekommen, und ich frage mich, was sonst kann ich noch tun, ausser jede Möglichkeit zu ergreifen, mit Rishi an die Öffentlichkeit zu gehen?

 

«Die Schule hat den Auftrag, zu fördern, aber auch zu selektionieren. Die Selektion steht teilweise im Widerspruch zur integrativen Förderung. Was soll also höher gewichtet werden: Leistung oder Integration?»

 

·         Wenn die Schule kein Ort des gemeinsamen Lernens und der Entdeckung und Würdigung individueller Talente darstellt, sondern ein Ort, an dem Menschen alleine aufgrund ihrer Leistungen beurteilt und eingeteilt werden, sind einfache, menschliche Begegnung und die Freude und Akzeptanz über das So-Sein des Anderen sehr schwierig umzusetzen.

 

Rishi schubst und schlägt nur noch selten. In den letzten zwei Wochen ist er jedoch mehrere Male vom Pausenplatz über eine stark befahrene Strasse gerannt. Selbstständig möchte er sein und zeigen, was er kann, denke ich – und da er noch immer nicht klar spricht, ist Bewegung seine bevorzugte Sprache -

 

Was ist angesagt: Bestrafung? Bessere Erklärungen in Bezug auf die Grenzen des Pausenplatzes? Ein Schulwechsel?

 

Die Zitate stammen aus folgendem Artikel, ganz zu Lesen unter folgendem Link:

 

https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Integrationsklassen-fallen-bei-der-Lernkontrolle-ab/story/30050264

 

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